Interview mit Christian Hundeshagen über medizinisches Cannabis
“Schön, wenn man als Apotheker eine Therapie beeinflussen kann”
Seit 2017 gibt es die Möglichkeit, mit einer Ausnahmegenehmigung „Cannabis auf Rezept“ zu verordnen. Unter der Voraussetzung, dass eine Kostenübernahme vorliegt, ist die Abgabe in die Regelversorgung aufgenommen worden. Apotheker Christian Hundeshagen hat die MEDICON Apotheke Schweinfurt zu einer verlässlichen Anlaufstelle sowohl für Patienten als auch Ärzt:innen aufgebaut. Im Interview spricht der Apotheker über das komplexe Themengebiet rund um medizinisches Cannabis und plädiert für eine seriöse Auseinandersetzung mit den Details zur anstehenden Entkriminalisierung von Cannabis.
Wann sind Sie als Apotheker erstmals mit Cannabis in Berührung gekommen?
Wir haben im November 2020 mit der Abgabe von medizinischem Cannabis angefangen. Erste Anfragen diesbezüglich haben wir schon etwa ein halbes Jahr vorher erhalten.
Die MEDICON Apotheke Schweinfurt hat sich seitdem einen Ruf als kompetente Ausgabestelle unter Patienten und in der Region erarbeitet. Gibt es einen bestimmten Grund für dieses besondere Engagement?
Medizinisches Cannabis ist ein wirklich sehr komplexes Thema. Ich kann mir vorstellen, dass es für manche Apotheker schon zeitlich eine zu große Herausforderung ist, sich einzuarbeiten. Je mehr man über medizinisches Cannabis versteht, desto interessanter wird dieses Thema. Gerade in der Cannabistherapie arbeiten wir eng mit den verschreibenden Ärzt*innen zusammen, weil die viele Erfahrung, die wir uns zu dem Fachgebiet erarbeitet haben, selbst vielen Ärzten in dem Umfang nicht vorliegt.
Worin liegt der Vorteil der Vor-Ort-Apotheke im Vergleich zum Online-Handel?
Wir als Apotheke sind mehr als eine Abgabestelle oder ein Lieferant. Ganz klar steht bei unserem Service die Beratung und gute Kommunikation im Fokus. Diese umfasst sowohl die Information über Lieferbarkeiten, als auch eine unmittelbare Versorgung mit Sorten aus unserem Lagerbestand. Bei Fragen oder Problemen setzen wir uns mit der verschreibenden Praxis in Verbindung.
Stehen Sie bei der Abstimmung der individuellen Patientenbetreuung in Kontakt mit den behandelnden Ärzten?
Ja, in Sachen Therapieoptimierung kommt das durchaus vor. Die Ärzte, mit denen ich enger zusammenarbeite, fragen dann, welche Sorte für den Patienten infrage kommt, weil er zum Beispiel etwas Muskelrelaxierendes braucht. Diesbezüglich kann man Empfehlungen aussprechen, auch hinsichtlich der Darreichungsform. Neben den getrockneten Blüten gibt auch ölige oder ethanolische Extrakte, zum Teil in Kapseln, zum Inhalieren, es gibt Nasensprays, auch THC-haltige Vaginal- und Rektalkapseln sind z. B. für Patienten, die Probleme mit der Lunge haben. Da ist es gut, wenn man dem Arzt kommunizieren kann: Hier ist eine alternative Darreichungsform.
Wie kann man sich den Alltag in der Kommunikation zwischen Apotheke, Patient und Arzt vorstellen?
Das ist individuell unterschiedlich. Bei den meisten Praxen ist es so, dass der Patient den Arzt informieren muss, welche Blüte aktuell lieferbar ist. Konkret heißt das: Der Patient fragt beim Apotheker nach der Lieferfähigkeit einer bestimmten Blüte. Auf Basis dieser Information stellt der Arzt das entsprechende Rezept aus. Immer mehr Praxen kommen aber auch direkt auf uns zu, um Lieferbarkeiten oder Lagerbestände zu erfragen.
Um sich besser zu informieren, bekommen unsere Patienten eine täglich aktualisierte Verfügbarkeitstabelle, die online mit den entsprechenden Zugangsdaten einsehbar ist. Beim medizinischen Cannabis wechseln die Sorten häufig, die Lieferfähigkeit ist sehr unterschiedlich. Der Patient ist deswegen mehr in die Therapie eingebunden als im klassischen Fall.
Es ist enorm wichtig, dass der Patient online nachsehen kann, was vorrätig ist. Beim medizinischen Cannabis wechseln die Sorten häufig, die Lieferfähigkeit ist sehr unterschiedlich. Der Patient ist deswegen mehr in die Therapie eingebunden als im klassischen Fall.
Gehen Patient:innen verantwortungsvoll mit dieser Rolle um?
Es gibt viele Patient:innen, die die Sorten oft wechseln, andere sind hingegen super auf eine Sorte eingestellt. Manchmal stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein, den man durch den Wechsel auf eine andere Sorte reduzieren kann. Im sehr jungen Markt der Cannabisarzneimittel gibt es zudem viele, oft kurzlebige Trends. Sicher wird auch hierdurch bei einigen Patienten die Therapie beeinflusst. Es ist nicht wie im Blutdrucksenkermarkt, wo es immer das gleiche Präparat gibt.
Vorsicht beim Sortenwechsel:
Konstanz bedeutet weniger Haftungsrisiko für den Patienten
Können sich Patienten bei der Behandlung selbst im Wege stehen, wenn sie den wechselhaften Markt so genau im Blick haben und trendgetrieben sind?
Wenn alles konstant lieferfähig wäre, würde meine Empfehlung klar lauten: Bitte auf eine Sorte gut einstellen lassen und diese gut lieferfähige Sorte dauerhaft nehmen. Beim Sortenwechsel gibt es aktuell eine rechtliche Grauzone, weil dieser eine Änderung der Therapie darstellt. Bei einer neuen Sorte muss man bis zu vier Wochen eingestellt sein, bevor man ohne erhöhtes Haftungsrisiko schwere Maschinen bedienen oder Auto fahren darf. Immer die gleiche Sorte zu nehmen bedeutet deswegen weniger Haftungsrisiko für den Patienten. Das setzt aber natürlich auch voraus, dass die Sorten konstant lieferfähig sind. Leider gibt es auf dem Markt nur wenige Hersteller, die das schaffen. Oft sind das nicht die preisgünstigsten Hersteller und diese konstante Lieferfähigkeit hat ihren Preis.
Trotz Legalisierung: “Der medizinische Markt muss zuerst bedient werden.”
Wie stehen Sie dazu, dass der Freizeitkonsum entkriminalisiert werden soll?
Grundsätzlich finde ich es gut, dass medizinisches Cannabis entkriminalisiert wird. Es muss aus meiner Sicht aber, wie beim Alkohol auch, eine in Abhängigkeit des wissenschaftlichen Kenntnisstandes stringente Zugangskontrolle erfolgen, damit Patienten nicht in eine Sucht abrutschen. Und damit junge Menschen, deren Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, adäquat geschützt sind. Es muss auch eine Möglichkeit geben, Menschen im Straßenverkehr zu schützen. Wer darf nach welchem Abstand zum Konsum von medizinischem Cannabis Auto fahren? Das muss sauber ausgestaltet sein und darf kein Schnellschuss sein.
Nach Ihrer Einschätzung zu Lieferfähigkeit und zum bewegten Markt hinsichtlich verfügbarer Sorten: Fürchten Sie, dass sich eine Legalisierung auf die Versorgungslage von Patienten auswirken wird?
Bei Patienten mit bestehender Kostenübernahme darf es auf keinen Fall dazu kommen, dass sie ihr Medikament nicht mehr bezahlt bekommen, wenn die Bezugsmöglichkeiten sich ändern. Ganz klar muss der medizinische Markt zuerst bedient werden. Es darf keinesfalls passieren, dass schwer kranke Menschen, die darauf angewiesen sind, ihr Medikament nicht bekommen, damit der Freizeitmarkt bedient werden kann.
“Man befindet sich als Apotheker in jedem Fall auch in einer Rolle als Berater zu Blüten und Sorten”
Das bedeutet, die Apotheken werden nicht von heute auf morgen in die Rolle der Bezugsstelle geschubst, sondern Interessierte kommen schon jetzt regelmäßig in die Apotheke, um sich über die Sorten zu informieren?
Ja, solche, die sich auch online bei den gängigen großen Portalen informieren, die kommen schon heute zu uns. Es gibt im Selbstzahlerbereich viele Patienten, die keine Chance auf eine Kostenübernahme haben, weil ihre Beschwerden nicht schwerwiegend genug sind, um diese zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet zu bekommen. Man befindet sich in diesem Fall auch in einer Rolle als Berater zu Blüten und Sorten.
Inwieweit trifft das Klischee eines Kiffers zu? Bilden die Patienten einen gesellschaftlichen Querschnitt ab?
Im Selbstzahlersegment beim medizinischen Cannabis sind es schon eher jüngere Kunden, und da eher Männer als Frauen. Das kann aber auch heißen, dass diese Cannabis als Arzneimittel eher eine Chance geben, als in den anderen Gesellschaftsbereichen. Aber ich habe auch Kunden, die zwischen 60 und 80 Jahren alt sind, die wegen Tumorschmerzen, Spastiken oder MS in Behandlung sind. Manche der Selbstzahler sind Manager, die das nicht in ihrer Freizeit nehmen, sondern die Schmerzen und weitergehende Beschwerden haben. Die kommen schick mit Hemd und Anzug in die Apotheke, sie sind in Führungspositionen in allen möglichen Branchen tätig. Da würde man auf den ersten Blick nicht vermuten, dass sie medizinisches Cannabis konsumieren.
Wir haben Kunden, die zum Teil eineinhalb Stunden einfach fahren, weil sie wissen, dass sie hochwertig versorgt werden. In Unterfranken dürfen wir uns auf die Fahne schreiben, über die größte Expertise zu verfügen.
Wir haben Kunden, die zum Teil eineinhalb Stunden einfach fahren, weil sie wissen, dass sie hochwertig und mit fairen Preisen versorgt werden. In Unterfranken dürfen wir uns auf die Fahne schreiben, über die größte Expertise zu verfügen.
Haben Sie einen Wunsch, den Sie an verschreibende Ärzte richten möchten?
An die verschreibenden Ärzte müsste ich keinen Wunsch richten, weil sie sich schon mit medizinischem Cannabis auseinandersetzen. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass Ärzte den Mut haben, auch mit dieser Versorgungsart anzufangen. Auch bei den Ärzten gilt es, dieses Thema zu entstigmatisieren. Es wäre toll, wenn sich mehr Ärzte trauen, bei einem Patienten, der verlässlich ist – und so einen hat jeder Arzt – das einfach mal auszuprobieren. Wir in der Apotheke stehen bei Fragen gerne zur Verfügung.
Und hätten Sie einen Wunsch an die Patienten?
Nehmt euch Zeit bei der Einstellung auf die richtige Blüte. Lieber einmal gut eingestellt auf eine dauerhaft lieferbare Blüte, als sich auf die sehr preisgünstigen Blüten zu stürzen. Diese werden von den Herstellern auf den Markt geworfen, sind aber oft schnell auch wieder weg. Neue Blüte, neuer Hype – das ist auch ein Problem.
Cannabis ist eine echte Therapieoption für Menschen, die wirklich leiden. Durch eine qualitativ hochwertige und gesicherte Versorgung können wir Menschen nachhaltig helfen. Das motiviert mich als Apotheker jeden Tag neu.
Vielen Dank für das Interview an Apotheker Christian Hundeshagen, Inhaber der MEDICON Apotheke Schweinfurt
Mitglied im VCA (Verein Cannabis versorgende Apotheken)
Interview vom 28. November 2022 geführt von: Luana Valentini